Dreiundzwanzigster Blitz

Abhandlung über die Natur

Obwohl dies eigentlich die Sechzehnte Anmerkung zum Siebzehnten Blitz wäre, wird sie wegen ihrer Bedeutung als Dreiundzwanzigster Blitz bezeichnet. Sie vernichtet die aus dem Naturalismus herauswachsende atheistische Philosophie, ohne ihr noch die Chance zu einer späteren Renaissance zu lassen. So zertrümmert sie den Grundstein des Unglaubens vollständig.

Hinweis

Mit dieser Abhandlung wird anhand von neun Unmöglichkeiten, die mindestens neunzig Unmöglichkeiten beinhalten, dargelegt, in welchem Maße die wahre Natur des Weges, den die Gottesleugner unter den Naturalisten beschritten haben, unvernünftig und hässlich ist und in welchem Grade sie auf Aberglauben beruht. Weil aber diese Unmöglichkeiten schon in anderen Abhandlungen teilweise dargelegt wurden, können wir hier einige Stufen überspringen, indem wir uns ganz kurz fassen. Es steigt daher plötzlich der Gedanke auf: Wie konnten nur so berühmte und vernünftige Philosophen einen so deutlichen und offensichtlichen Aberglauben annehmen und auf einem solchen Wege fortschreiten? Ja, sie konnten die wahre Natur des von ihnen eingeschlagenen Weges nicht wahrnehmen. Aber die Realität dieses Weges, die Prämisse und das Resultat dieses Weges ist dergestalt, dass ich bereit bin, den Zweiflern mit ganz klaren und unwiderleglichen Zeugnissen ausführlich darzulegen und zu beweisen, dass eine Zusammenfassung ihrer Lehre*, deren Voraussetzungen und zwangsläufige Resultate hässlich und abscheulich und dem Verstande unzugänglich sind, und werde dies auch am Ende jeder Unmöglichkeit, die ich niederschreiben werde, darlegen.

بِسْمِ اللّٰهِ الرَّحْمٰنِ الرَّحِيمِ

قَالَتْ رُسُلُهُمْ اَفِى اللّٰهِ شَكٌّ فَاطِرِ السَّمٰوَاتِ وَاْلاَرْضِ

»Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Es sprachen ihre Gesandten: Gibt es etwa einen Zweifel an dem Schöpfer der Himmel und der Erde?« (Sure 14, 10)

Diese ehrwürdige Ayah zeigt, in der Form einer verneinenden Fragestellung, indem sie aussagt, dass es »über Gott den Gerechten keinen Zweifel gibt und geben darf«, dass die Existenz und Einheit Gottes ganz offensichtlich ist.

Ein Hinweis vor der Erklärung dieses Geheimnisses:
1338 bin ich nach Ankara gegangen. Ich sah, dass sich in die Überzeugung von Leuten des Glaubens, die sich des Sieges der islamischen Armee über die Griechen erfreuten, sehr schlimme atheistische Gedankengänge einzuschleichen begannen, die sie zerstören und vergiften könnten. »Oh weh!«, sagte ich, dieser Drache nagt ja an den Fundamenten unseres Glaubens. Weil diese Ayah ganz offensichtlich die Existenz und Einheit Gottes verständlich macht, habe ich durch sie Hilfe erhalten, aus dem Weisen Qur’an ein starkes Zeugnis entnommen und eine arabische Abhandlung geschrieben, die geeignet ist, das Haupt des Atheismus zu spalten. Ich ließ sie in der Druckerei »Yeni Gün« in Ankara drucken. Weil es aber nur wenige gab, die arabisch konnten und daher diesem Werk auch kaum eine Bedeutung beimaßen, zeigte dieses doch so kurz und treffend formulierte und starke Zeugnis leider keine Wirkung. Dieses atheistische Gedankengut aber entwickelte sich leider und gewann an Macht. Ich muss also zwangsläufig dieses Zeugnis erklären, soweit wie dies in türkischer Sprache möglich ist. Da einzelne Teile dieses Zeugnisses bereits in einigen Abhandlungen vollständig erläutert wurden, werde ich sie hier nur kurz niederschreiben. Viele Zeugnisse, die sich in anderen Abhandlungen verstreut finden, sind teilweise in diesem Zeugnis zusammengefasst. Jedes einzelne von ihnen kann als eines seiner Komponenten betrachtet werden.

Einführung

Oh Mensch! Wisse, dass es fürchterliche Worte gibt, die den Mund der Menschen verlassen, ohne dass sie deren Gottlosigkeit bemerken. Leute des Glaubens gebrauchen sie, ohne es zu wissen. Wir erklären hier drei äußerst wichtige von ihnen.

Erstens: »Es wurde verursacht«, d.h. die Ursachen haben diesen sichtbaren Dingen ihre Existenz verliehen.

Zweitens: »Es bildete sich selbst«, d.h. es bildete sich aus sich selbst heraus, entstand, erwuchs.

Drittens: »Es erfordert die Natur«, d.h. es ist natürlich, die Natur erfordert es, bringt es zu Stande.
Ja, es gibt nun einmal ein Dasein und das kann auch nicht geleugnet werden. Zudem gleicht jedwedes Sein einem Kunstwerk, das mit Sinn und Verstand ins Dasein gerufen wurde. Überdies besteht es nicht ewig und ohne Anfang, sondern wurde neu geschaffen. Auf jeden Fall, oh du Atheist, wirst du sagen, dass das, was hier ist, z.B. dieses Tier da durch Ursachen der unbelebten Natur hervorgebracht wurde, d.h. dieses Sein wurde durch die Verknüpfung von Ursachen ins Dasein gebracht… oder aber: Es hat sich selbst eine Form gegeben… oder aber: Es kam unter der Einwirkung natürlicher Ursachen als natürliches Ergebnis zu Stande… oder aber: Es ist ein Geschöpf aus der Kraft des Glorreichen-Allmächtigen.
Da aber dem Verstande außer diesen vier Wegen kein anderer Weg mehr offen bleibt, steht uns, wenn wir mit absoluter Sicherheit beweisen können, dass die oben genannten drei Wege nicht gangbar sind, auf einem Aberglauben beruhen, außerhalb des Möglichen liegen, zwangsläufig und offensichtlich nur noch der vierte Weg als die ohne allen Zweifel einzig sichere Lehre von der (alles bewirkenden Einheit und) Gegenwart Gottes offen.

Erste Streitfrage: Ein Geschöpf hat durch eine Verknüpfung der Ursachen aus der unbelebten Welt Gestalt angenommen und ist so ins Dasein getreten. Wir wollen hier unter sehr vielen Unmöglichkeiten nur drei erwähnen.

Erste Unmöglichkeit: In einer Apotheke findet man hunderte von Gläsern, die mit den verschiedenartigsten Substanzen angefüllt sind. Man wolle nun aus diesen Heilmitteln eine wundersame Salbe gewinnen, die lebendig sein soll! Außerdem ist es erforderlich, aus ihnen ein wundersames lebendes Heilmittel herzustellen. Wir sind gekommen und haben in dieser Apotheke eine große Menge dieser lebendigen Salbe und von diesem lebenden Heilmittel gesehen. Wir haben jede dieser Salben untersucht.
Wir haben gesehen: Jedes dieser Gläser enthält eine bestimmte Menge, ein, zwei Dirhem (= 6 Gramm) von diesem, drei, vier Dirhem von jenem, sechs, sieben Dirhem von etwas anderem usw. Es wurden verschiedene Mengen unterschiedlicher Arzneimittel verwendet. Hätte man ein Dirhem mehr oder weniger entnommen, wäre diese Salbe nicht mehr lebensfähig, könnte ihre Wirkung nicht mehr zeigen. Und auch dieses lebende Heilmittel haben wir geprüft. Es wurde aus jedem Glas eine ganz bestimmte Menge entnommen. Wäre es auch nur um ein Geringes mehr oder weniger gewesen, hätte das Heilmittel seine Besonderheit verloren. Es gibt nicht nur mehr als fünfzig verschiedene Gläser, man hat auch noch unterschiedliche Mengen von jedem Mittel verwendet, da jedes von ihnen sein eigenes Maß kennt.
Ja, wäre es denn auf irgendeine Weise möglich und wahrscheinlich, dass die aus den verschiedenen Gläsern entnommenen unterschiedlichen Mengen dadurch zueinander gekommen sein und sich miteinander vermischt haben könnten, dass irgendein sonderbarer Zufall oder vielleicht ein Windstoß die Gläser umgeworfen habe, wodurch die Arzneien ausgelaufen seien und jede von ihnen sich mit dem nur allein ihr eigenen genauen Maß zu einer bestimmten Salbe vereinigt hätten… Gäbe es vielleicht etwas, das ein noch größerer Aberglaube, noch unwahrscheinlicher und absurder wäre als dieses? Könnte ein Esel selbst eine doppelte Eselei annehmen und dann ein Mensch werden, er würde sagen: »Eine solche Idee kann ich nicht annehmen« und davon laufen.
So ist es also wie in diesem Beispiel: Alles, was Leben in sich enthält, ist sicherlich eine solche lebendige Salbe. Und jede Pflanze gleicht einem lebenden Heilmittel, das aus vielen unterschiedlichen Substanzen zusammengesetzt ist, für das viele spezifische Maßeinheiten angewandt wurden. Dies den Ursachen und Elementen der Natur zuzuschreiben und zu sagen: »Die Ursachen haben dies bewirkt« ist hundertfach weiter von jeglicher Vernunft entfernt, unmöglicher und absurder, als die Entstehung einer Salbe in einer Apotheke durch das Umstürzen der Gläser.

Kurzum: Alles Lebendige in dieser großen Apotheke der Welt kann nur aus der unendlichen Weisheit, dem grenzenlosen Wissen und einem alles umfassenden Willen Gestalt annehmen, durch Urteil und Bestimmung des Urewigen-Weisen, der die Waage hält. Ein Unglückseliger, welcher sagt: »Dies haben die Ursachen der natürlichen Elemente zu Stande gebracht, die taub und blind, einem Sturzbach ohne Grenzen gleich dahinströmen«, ein dummer Phantast, der sagt: »Dies wunderbare Heilmittel ist ganz von selbst entstanden, dadurch, dass die Gläser umgestürzt und ausgelaufen sind.« Er spricht noch törichter als ein törichter Trunkenbold. Ja, dieser Unglaube, diese Torheit, diese närrische Trunkenheit ist reine Phantasterei.

Zweite Unmöglichkeit: Wäre nicht ein jedes Ding dem Glorreichen-Allmächtigen zuzuschreiben, welcher Ein-Einziger ist, sondern auf Ursachen aus der unbelebten Natur zurückzuführen, dann müsste notwendiger Weise bei der Entstehung alles dessen, was da lebt, eine Vielzahl von Ursachen und Elementen beteiligt sein. Es ist aber ganz offensichtlich eine Unmöglichkeit, dass in dem Körper eines so kleinen Geschöpfes wie einer Mücke eine derart große Anzahl von Vektoren, die voneinander verschieden und einander entgegengesetzt sind, in so vollkommener Ordnung, mit einer so empfindlichen Maßgenauigkeit und in so vollständiger Übereinstimmung wirksam werden, dass jeder, der auch nur so viel Bewusstsein besitzt, wie sich im Flügel einer Mücke befindet, sagen muss: »Das ist unmöglich. Das kann nicht sein.« Ja, der winzige Leib einer Mücke steht mit den meisten Ursachen und Elementen des Alls in Verbindung, ist sogar dessen Zusammenfassung. Wären sie nicht dem Urewigen-Allmächtigen zuzuschreiben, dann müssten diese Ursachen der unbelebten Natur selbst neben ihrem Körper zu finden sein, oder aber in ihren winzigen Leib eintreten. Ja, es wäre sogar erforderlich, dass sie in jede einzelne Facette ihres Auges eintreten, die ein verkleinertes Abbild ihres Körpers ist. Denn wenn die Ursache aus der unbelebten Natur kommt, muss sie auch neben oder in dem verursachten Objekt wirksam werden. In diesem Falle müsste man davon ausgehen, dass sie wie ein Meister im Inneren der biologischen, chemischen und physikalischen Bausteine und Grundelemente dieser winzigen Zelle arbeiten, dort, wo nicht einmal die Spitzen der Fühler einer Mücke mehr Platz finden.
Also würde sich einer solchen Hypothese selbst noch ein ungewöhnlich spitzfindiger unter den Sophisten schämen.

Dritte Unmöglichkeit: Eine unverrückbare Grundregel sagt:

اَلْوَاحِدُ لاَ يَصْدُرُ اِلاَّ عَنِ الْوَاحِدِ

»Einheit entsteht nur aus der Einheit.«

das heißt, wenn eine Existenz Einheit besitzt, kann sie nur von einem Einzigen, von einer einzigen Hand geschaffen sein. Besonders dann, wenn dieses Ding in der so vollendeten Ordnung seiner Existenz und mit den ihm eigenen Maßen alle Aspekte des Lebens in sich gesammelt aufzeigt, kann sie offensichtlich nicht durch viele verschiedene Hände geschaffen worden sein, weil das eine Ursache zu Streitigkeiten und Verwirrungen wäre, sondern muss vielmehr von der Hand eines Allmächtigen und Allweisen geschaffen worden sein. Da dieses Durcheinander verschiedener Hände in einem Durcheinander unendlich vieler lebloser Naturelemente, die – taub und blind, ohne Verstand und Bewusstsein – nicht ihre Grenze kennen, diese Blindheit und Taubheit von Ursachen auf unendlich vielen grenzenlos möglichen Wegen, Verbindungen und Vereinigungen nur noch vermehrt, ist es so weit davon entfernt, noch vernünftig zu sein, wie die gleichzeitige Annahme von hundert Unmöglichkeiten, dass diese Existenz in ihrer Wohlgeordnetheit und Proportionalität und Einheitlichkeit sich darauf stützen sollte.
Aber selbst dann, wenn wir einmal von dieser Unmöglichkeit absehen wollen, müssen sicherlich dennoch die Einwirkungen der Ursachen der unbelebten Natur eine Angriffs- und Berührungsfläche haben. Aber diese Berührungsfläche mit den Ursachen der unbelebten Natur kann bei lebenden Wesen nur deren Oberfläche sein. Trotzdem sehen wir, dass das Innere der Lebewesen zehnmal mehr geordnet ist als deren Äußeres, feiner gestaltet und künstlerisch noch vollendeter, obwohl es die Hände der Ursachen der unbelebten Natur nicht erreichen und nicht berühren können. Obwohl die winzigsten Pflanzen und die winzigsten Tierchen künstlerisch noch weit staunenswerter gestaltet und noch einzigartiger geschaffen sind als die großen Geschöpfe, hieße es, hundertfach blind und tausendfach taub zu sein, wollte man dies starren, einsichtslosen, grobkörnigen, weitmaschigen, grobkalibrigen, einander entgegengesetzten, blinden Ursachen zuschreiben, wo doch die Hände und die Werkzeuge der Ursachen der unbelebten Natur in ihnen gar keinen Platz finden, ja sie noch nicht einmal auch nur von außen berühren können!…

Aber es gibt noch eine Zweite Streitfrage. Sie behauptet: »Es hat sich von selbst gebildet.« Das heißt: Es ist aus sich selbst heraus entstanden.
Nun, auch dieser Satz enthält viele Unmöglichkeiten. Er ist in vielfacher Hinsicht unmöglich und irrig. Um ein Beispiel zu geben, wollen wir drei von diesen Unmöglichkeiten erklären.

Erste Unmöglichkeit: Oh du hartnäckiger Leugner!…

 


*Der Grund für die Verfassung dieser Abhandlung ist der, dass man in besonders verletzender und besonders hässlicher Weise seine Geringschätzung der Wahrheiten des Glaubens zum Ausdruck gebracht und einen Aberglauben genannt hat, was dem unzulänglichen Verstande nicht erreichbar ist, Atheismus und Naturalismus miteinander in Verbindung gebracht und so den Qur’an angegriffen hat. Dieser Angriff entfachte im Herzen einen heiligen Zorn, den Atheisten heftige und fürchterliche Ohrfeigen zu versetzen und auch denen, die ihr Antlitz von der Wahrheit ab und den Doktrinen des Aberglaubens zugewandt haben; wenn auch sonst die Lehre der Risale-i Nur eine vornehme, freundliche und milde Rede ist.

 

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Blitze – Kommentare zu Qur´an von Bediüzzaman Said Nursi aus dem Risale-i Nur Gesamtwerk

Stab Mosis – Kommentare zum Qur´an von Bediüzzaman Said Nursi aus dem Risale-i Nur Gesamtwerk

Broschüre - Dreiundzwanzigster Blitz – Abhandlung über die Natur