Der Mensch besitzt einander entgegengesetzte Eigenschaften wie Freude und Leid, Liebe und Hass, Güte und Zorn, Scham und Schamlosigkeit. Die dem Menschen in seiner Natur gegebene Aufgabe ist es nun, sich innerhalb dieser Gegensätze zu orientieren und richtig zu entscheiden und so mit Gott ins Reine zu kommen. In diesem Kampf siegt er manchmal, und wird manchmal besiegt, was positive und negative Handlungen und Verhältnisse in der Gesellschaft verursacht. Der Mensch giert danach, Blut zu sehen, Blut zu vergießen, wie wir auch im Qur’an (Sure 2, 30) lesen, wenn dort über die Erschaffung Adams erzählt wird…

Opfergabe in der Weltgeschichte.

In der fünften Sure, Vers 29, ist das Opfer als Ausdruck der Gottesfurcht und der Gerechtigkeit in Bezug auf den Streit zwischen den Söhnen Kain und Abel.
Verkünde ihnen wahrheitsgemäß die Geschichte von den zwei Söhnen Adams, wie sie beide ein Opfer darbrachten, und es wurde angenommen von dem einen von Ihnen und wurde nicht angenommen von dem anderen. Da sprach dieser: »Fürwahr, ich werde dich erschlagen.« Jener erwiderte: »Allah nimmt nur an von den Gottesfürchtigen.«
Das Opfer als Ausdruck völliger Hingabe und Opferwilligkeit:
Abraham, der Prophet Gottes, den alle drei abrahamitischen Religionen Zeit gleichermaßen anerkennen, wünschte sich trotz seines hohen Alters ein Kind, das später einmal die Erbfolge antreten solle. Seine Frau Sara war alt und unfruchtbar, daher nahm er ihre Magd als zweite Frau, sie gebar ihm Ismail. Schließlich ist sein Wunsch in Erfüllung gegangen. Ismail war von sehr schöner Gestalt und er hatte einen sehr reinen Charakter, was die Voraussetzung war, später von Gott als Prophet berufen zu werden. Ismail war seinem Vater nicht nur ein Sohn. Er war ihm die Frucht einer lebenslangen Wartezeit, eine Belohnung für ein Leben voller Kämpfe. Und er kam zur Welt in einer Zeit, als dies schon gar nicht mehr zu erwarten war. Als einziger Sohn eines alten Vaters war er nach all den schweren Jahren seine ganze Hoffnung, all seine Liebe, sein Nachkomme. Ismail ist in dieser Geschichte ein Symbol für all das, was einem Diener Gottes von Herzen am liebsten ist. Für Abraham war es sein Sohn Ismail. Als Ismail sieben Jahre alt wurde, befahl Allah Abraham, Ihm zum Opfer zu bringen, was Ismail für ihn bedeutete. Kurban heißt wörtlich »Annäherung«. Da nun Abrahams Liebe zu seinem Sohn Ismail sehr groß war, prüfte Allah ihn, ob er nicht all zu sehr in ihr gebunden war. Diese Geschichte wird im Qur’an folgendermaßen erzählt:
Er sagte: »Ich gehe zu meinem Herrn, Er wird mich rechtleiten. Oh mein Herr, schenke mir einen Rechtschaffenen (Sohn).“ Da verkündeten Wir ihm einen großherzigen Knaben. Als dieser das Alter erreicht hatte, dass er schon mit ihm mithalten konnte, sagte er: »Mein lieber Sohn, ich sehe im Schlaf, dass ich dich schlachte. Schau jetzt, was du meinst.« Er sagte: »Oh mein Vater, tu, was dir befohlen wird. Du wirst finden, so Gott will, dass ich zu den Standhaften gehöre.« Als sie sich beide ergeben gezeigt hatten und er ihn auf die Stirn niedergeworfen hatte, da riefen Wir ihm zu: »Oh Abraham, du hast das Traumgesicht wahr gemacht.« So vergelten Wir den Rechtschaffenen. Das ist die offenkundige Prüfung. Und wir lösten ihn (seinen Sohn) mit einem großen (Schlacht)opfer aus. Und Wir ließen seinen Ruf unter den späteren Generationen fortbestehen. Friede sei über Abraham! So vergelten Wir den Rechtschaffenen. Er gehört zu unseren gläubigen Dienern.« (Sure 37, 99-113)
In dem Beispiel Abraham, ist das Opfer das Symbol der Freundschaft und der Ergebenheit. Ein Muslim, der sein Opfer darbringt, verspricht Allah mit seiner Tat: »Oh Herr, der Du uns ernährst und versorgst! Wie groß auch immer unser Dank für Deine Geschenke sein mag: er wird immer zu wenig sein. Gegenüber Deinen zahllosen Gnadenerweisen ist unser Hals so dünn und schwach wie ein Haar« (= können wir nur noch demütig unser Haupt beugen). Dem Beispiel Abrahams entsprechend sind wir auch bereit für Dich auf Dein Wunsch unser Hab und Gut, unser Leben und alles, was wir haben zu opfern. Also ist das Opfer, das wir darbringen, ein Ausdruck unserer unendlichen Ergebenheit und unserer Treue Dir gegenüber. Beim Opfer spielt die Einstellung (niyeh) eines Muslims die wesentliche Rolle. Jedoch sagt der Qur’an in Sure 22, 38:
»Ihr Fleisch (das der Opfertiere) erreicht Gott nicht, noch tut es ihr Blut, sondern eure Ehrfurcht ist es, die Ihn erreicht.«
Wie aus diesem Vers hervorgeht, ist ein Opfer das Symbol der Befolgung des Versprechens des Menschen vor Gott, als wir noch in der Welt der ungeborenen Seelen weilten. Wenn man das Opfer nur als die Vernichtung eines Lebewesens betrachtet, so heißt dies, dass man seine tiefe Bedeutung nicht kennt. Die islamische Religion befielt niemals, ein Tier, das dem Menschen nicht schadet, umzubringen. Also stellt ein Opfer die Beziehung des Menschen zu Gott wieder her.
Ein weiteres Beispiel für ein Opfer sehen wir auch in der Zeit des Mosis.
Ein Mord wurde bei den Söhnen Israels begangen, der einen heftigen Streit auslöste. Die Leute boten also Moses darum, dass er seinen Herrn darum befrage. Im Qur’an wird dazu folgendes berichtet:
Und als Moses zu seinem Volk sagte: »Gott befielt euch, eine Kuh zu schlachten.« …Sie schlachteten sie. Da sprachen Wir: »Schlagt ihn mit einem Stück von ihr (von der Kuh). Somit wird er wieder zum Leben erweckt, damit er den Namen des Mörders preisgibt.« (Sure 2, 67-74)
Außerdem wird auch in der Geschichte von Opfern, welche die Menschen für ihre Götzen darbrachten, berichtet.

Psychologische Bedeutung des Opfers

Der Mensch besitzt einander entgegengesetzte Eigenschaften wie Freude und Leid, Liebe und Hass, Güte und Zorn, Scham und Schamlosigkeit. Die dem Menschen in seiner Natur gegebene Aufgabe ist es nun, sich innerhalb dieser Gegensätze zu orientieren und richtig zu entscheiden und so mit Gott ins Reine zu kommen. In diesem Kampf siegt er manchmal, und wird manchmal besiegt, was positive und negative Handlungen und Verhältnisse in der Gesellschaft verursacht. Der Mensch giert danach, Blut zu sehen, Blut zu vergießen, wie wir auch im Qur’an (Sure 2, 30) lesen, wenn dort über die Erschaffung Adams erzählt wird:
Und (gedenke) als dein Herr zu den Engeln sprach: ‚Ich werde auf der Erde einen Nachfolger einsetzen.’ Sie sagten: ‚Willst Du auf ihr einen einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und Blut vergießt ?…’
Gott sagt dagegen nicht; Nein, der Mensch ist nicht so, dass er Blut vergießt, sondern antwortet, indem Er sagt:
»Ich weiß, was ihr nicht wisst.«
Der Kampf ums Leben ist nur im Rahmen dieser Kräfte möglich. Man muss die negativen Kräfte in der richtigen Erziehung dahin lenken, dass sie keinen Schaden mehr verursachen können. Das ist auch das Ziel der vom Himmel geoffenbarten Religionen. Das Opfer gibt den Menschen als Gebot Gottes die Gelegenheit, ihren Blutdurst nicht auf anderen, ungesetzlichen Wegen zu befriedigen. Beispiele dafür aus heutiger Zeit sind ganz eindeutig:
Professor Dr. Daryal schreibt in seinem Buch »Psychologische Grundzüge des Schächtens«:
»Im Westen finden Boxkämpfe statt. Wem nutzt das? Sport soll der Gesundheit des Menschen und der Gesunderhaltung des Körpers dienen. Statt dessen erleidet ein Boxkämpfer z.B. eine Gehirnblutung und kann daran sogar sterben. Das hat mit dem Ziel des Sportes nichts zu tun. Wenn in einem Sportstadion tausende Menschen toben und schreien, rauchen und trinken, so hat dies nichts mit Sport und Gesundheit, mit Wachstum und Erholung zu tun. Die Zuschauer sind nur gekommen, um Kampf, Blut und Spiele zu sehen.
Das war schon so zur Zeit der Gladiatorenkämpfe im alten Rom oder bei den Ketzer- und Hexenverbrennungen im Mittelalter. Fuchsjagden und andere zweifelhafte Jagdvergnügungen in heutiger Zeit sind da keine Ausnahme. Da es heute in westlichen Ländern keine Tempel mehr gibt, in denen blutige Opfer dargebracht werden, hat die weltliche Obrigkeit Boxkämpfe und Jagdvergnügungen gesetzlich abgesichert, um so die Gier der Massen befriedigen zu können.
Wie eigenartig ist es, dass derjenige, der einen Menschen auf der Straße umbringt, als Mörder gilt, wogegen derjenige, der einen auf dem Kampfplatz beim Boxen zu Tode prügelt (und also tötet), als ein Held herausgestellt wird. Da aber die Menge Blut sehen will und ein Boxkampf diese Gier befriedigen hilft, wird der Boxer als Held bejubelt und gefeiert und diese Art von Sport gesetzlich legitimiert.
Auch die Stierkämpfe unterscheiden sich nicht davon. Bei einem Kampf wird entweder ein Stier durch die Stiche der Lanzen der Picadores bis aufs Blut gereizt und schließlich von dem Torero unter dem Jubel der Menge umgebracht, oder der Torero wird selbst von dem wütenden Stier auf die Hörner genommen. Das hat wenig mit Sport und noch weniger mit Unterhaltung aber sehr viel mit der Blutgier der Massen zu tun.
Durch den Befehl Gottes im Qur’an ein Blutopfer darzubringen, bleibt dem Menschen kein anderer Weg mehr seine Blutgier auf eine gottgewollte und menschenwürdige Weise zu befriedigen. Hier wird das Blut der Opfertiere vergossen, um dem Menschen in seiner Grausamkeit einen Ausweg zu zeigen, seine Blutgier zu befriedigen und das Blutvergießen unter den Menschen zu verhindern. Damit ging ein Zeitalter der Menschen- und der Götzenopfer zu Ende.
Professor Daryal bringt auch eine Erklärung für die Art der Opfertiere, um seine Behauptung fortzuführen. »Warum sind Hammel, Ziegen, Kühe, Kamele etc. zu Opfertieren bestimmt und die Geflügel nicht? Wenn wir uns vor Augen halten, dass es sich bei der Opfergabe um ein Blutopfer handelt, wäre es falsch, wenn wir sagen würden, dass Geflügel nur wenig Fleisch hat. Denn es ist nicht das Fleisch, das hier zum Opfer gebracht werden soll. Eine Kuh gilt so viel wie sieben Hammel oder Ziegen, wobei sieben Truthähne oder sieben Hühner nicht gleich einem Hammel oder einer Ziege sind. Denn hier geht es nicht um das Fleisch. Ein Huhn oder eine Truthahn hat nicht genug Blut, um die menschliche Gier nach Blut für ein Jahr befriedigen zu können. Da das Blut im Körper eines Menschen etwa dem Blut eines Hammels entspricht, ist ein Hammel das kleinstmögliche Opfertier.
Aus diesem Grund soll derjenige, der sein Opfer nicht selber schlachten kann, dennoch bei dem Opfer anwesend sein, um sich auf diese Weise von seiner Blutgier zu befreien, sich angeekelt davon abzuwenden und fortan kein Verlangen mehr zu verspüren, Menschen zu töten. Zugleich soll der Mensch auch mitempfinden, miterleben, weiterfahren, was es heißt, zu sterben und was für einen Wert das Leben hat. So hält das Böse, das im Schlachtopfer enthalten ist, den Menschen davon ab, aggressiv zu werden, oder gar einem Geschöpf Gottes einen Schaden zuzufügen. Ziel ist also wenigstens diese Gier des Menschen so weit wie möglich zu verkleinern.«
Der Prophet Mohammed (a.s.) sagte seiner Frau Aischa: »Oh Aischa, während dein Opfer geschlachtet wird, sollst du dabei sein. Denn mit dem Vergießen des Opferblutes werden auch deine Sünden vergossen und getilgt.« Der Prophet legt großen Wert darauf, dass der Mensch das Blut, das er opfert, auch selbst fließen sieht, um so auch zu gedenken, dass nun seine eigenen Sünden vergossen werden und somit die Spannung in seinem Inneren entströmt, wie Professor Daryal meint. Professor Daryal deutet den Widder, der anstelle Ismails zum Opfer dargebracht wird, folgendermaßen:
Das Opfer des Widders hat Ismail vor dem Tod gerettet. Das bedeutet für uns, dass die Opfergabe in der Gesellschaft ein Zeichen ist, dass die Menschen lange leben werden. Denn das Opfer des Widders, bewirkte die Verlängerung des Lebens Ismails. Falls Ismail in seiner Kindheit geschlachtet worden wäre, gäbe es von ihm auch keine Nachkommen. Die Auslösung Ismails durch eine Opfergabe bewirkte, dass seine Nachkommen fortbestehen. In dieser Hinsicht gilt die Opfergabe als ein Zeichen für das Fortbestehen der Nachkommenschaft in der Gesellschaft allgemein. Wahrend in der islamischen Welt empfohlen wird, ein Opfer darzubringen, wenn sich ein Unglück, ein Unfall oder eine Katastrophe ereignet, soll man nicht vergessen, dass auch in der christlichen Welt der Tod Jesu so verstanden wird, dass er sich für die Erlösung der ganzen Menschheit als Opfer gegeben hat. Man soll nicht außer Acht lassen, dass in beiden Kulturen das Opfer in einander naheliegenden Bedeutungen verstanden wird.