Ausschnitt aus dem Buch „Said Nursi – Sein Leben und Werk“

Erster Teil

Kindheit und Jugendzeit

 

Bediüzzaman Said Nursi wurde im Jahre 1294 n.H.* (1877) im Dorfe Nurs des Bezirks Isparit, des Landkreises Hizan, der zur Provinz Bitlis gehört, geboren. Bis zum neunten Lebensjahre blieb er bei seinen Eltern. Zu dieser Zeit trieb ihn sein Seelenzustand dazu an, genauer zu untersuchen, wie weit sein großer Bruder Molla Abdullah, Student, in der islamischen Wissenschaft fortgeschritten sei. Er reiste zu Molla Abdullah und war hingerissen und davon begeistert, in welchem Maße sich dieser durch das Studium entfaltet hatte, im Vergleich zu seinen Dorfgefährten, die nicht studiert hatten.Aus diesem Grunde fasste er mit einem wahren Feuereifer ein Studium ins Auge und in dieser Absicht begab er sich in das im Bezirk Isparit Ocak gelegene Dorf Tagh zur Schule des Molla Mehmed Emin Efendi. Er blieb aber nicht lange. Entsprechend seiner Veranlagung bemühte er sich immer darum, seine Würde** zu bewahren und er vermochte auch nicht, selbst ein kleines herrisch gesprochenes Wort zu ertragen. Dies war der Grund seiner Trennung von der Schule. Er kehrte wieder nach Nurs zurück. Weil es aber in Nurs keine eigene Schule gab, beschränkte man sich darauf, dass sein großer Bruder ihm einmal in der Woche Stunden gab, wenn er nach Hause kam. Ein wenig später besuchte er den Flecken Pirmis, dann einen Scheich*** auf der Hochebene von Hizan. Auch dort verhinderte es seine Unduldsamkeit gegenüber Gewalt und Unterdrückung, mit vier Schülern in Eintracht zusammenzuleben. Da diese vier Schüler sich gegen ihn zusammentaten und ihn fortwährend belästigten, suchte er eines Tages Scheich Seyyid Nur Muhammed Hazretleri auf. Und da er sich wegen seiner offensichtlichen Unterlegenheit nicht über seine Mitschüler beschweren wollte, so sagte er:

 

»Scheich Efendi, sagen Sie ihnen doch bitte, sie möchten mich doch nicht alle vier zur gleichen Zeit verprügeln, sondern nur zwei und zwei!«

Scheich Nur Muhammed, dem die Tapferkeit des kleinen Said gefiel, antwortete:

»Du bist mein Schüler und niemand darf dich anfassen!«

Später wurde er in Erinnerung an die Anekdote »Schüler des Scheichs« genannt. Nachdem er dort eine Weile geblieben war, ging er mit seinem Bruder Molla Abdullah in das Dorf Nurshin. Da es Sommer war, zogen sie zusammen mit den Schülern und den Bewohnern auf die Hochebene Sheyhan. Dort stritt er sich eines Tages mit seinem Bruder Molla Abdullah. Mehmed Emin Efendi, der Direktor der Schule von Tagh, sagte zu dem kleinen Said:

»Warum hörst du nicht auf die Weisung deines Bruders?!«

Und er war über diesen Vorfall aufgebracht.

Sie befanden sich aber auf einer Schule, welche dem berühmten und ehrwürdigen Scheich Abdurrahman gehörte.

Darum gab er seinem Lehrer Folgendes zur Antwort:

»Mein Herr, in Anbetracht des Umstandes, dass wir beide uns hier in dieser Tekke befinden, sind Sie ein Schüler genauso wie ich. Und deshalb haben Sie hier als Lehrer kein Recht.« Und kehrte noch in der Nacht zurück nach Nurshin. Dabei musste er noch durch einen Wald hindurch, den zu durchqueren schon bei Tage für jeden schwierig war.

 


* Islamische Zeitrechnung beginnend mit dem Jahre der Flucht des Propheten von Mekka nach Medina, also 622. (A.d.Ü.)

** Dieses Ehrgefühl des Molla Said schon in seinem frühen Alter kam nicht aus Selbstsucht. Gott, der Allmächtige, hatte diesem Seinem Diener, dem künftig gnädig der Dienst an der Erhöhung des Wortes Gottes gegeben sein sollte, die Würde des Wissens geschenkt, ein notwendiges Element des Charakters, um diesen Dienst recht angemessen leisten zu können. Vielleicht kannte der Molla noch gar nicht das Wesen und die Weisheit dieser Würde. Aber die Zeit hat gezeigt, dass der Herr der Wahrheit diese Würde in die Seele des kleinen Saids schon wie einen kleinen Samen eingepflanzt hatte, eine Voraussetzung, um den großen und umfassenden Dienst am riesigen Baum der Risale-i Nur leisten zu können.

*** Das Wort Scheich würde auf Deutsch etwa »Lehrer, Älterer« bedeuten und wird für religiös gebildete Menschen und Lehrer von religiösen Bruderschaften (tariqat) gebraucht. (A.d.Ü.)

 

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