Vierter Strahl

»Unser befriedigender Anteil«

Dies ist hier der so kostbare Vierte Strahl, der seinem Inhalt nach und in der Folgeordnung seiner Einreihung, von seiner Form her und was seinen Zusammenhang (makam) mit dem Einunddreißigsten Blitz des Einunddreißigsten Briefes betrifft, als der Fünfte Blitz erscheint. Es handelt sich hier um einen besonders wichtigen Punkt in der Ayah: »Unser befriedigender Anteil…« (Sure 3, 173)

 

Anmerkung: Die Risale-i Nur erscheint im Gegensatz zu anderen Büchern zunächst einmal wie ein verschlossenes (Buch) und öffnet sich dann nur langsam. Besonders aber die erste Stufe dieser Abhandlung ist nicht nur eine sehr kostbare Wahrheit, sondern zugleich auch besonders tiefsinnig und subtil. Zudem hat diese erste Stufe gefühlsmäßig besonders für mich zu einem wichtigen Beschluss geführt, zu einer lebhaften Diskussion über den Glauben, zu einem stillen und geheimen Zwiegespräch in meinem Herzen, und ihm in seinen verschiedenen, tiefen Leiden Heilung gebracht. Diejenigen, welche mit mir in Harmonie und völliger Übereinstimmung leben, werden das nachempfinden können. So nicht, werden sie auch keine Freude daran haben…

 

بِسْمِ اللهِ الرَّحْمٰنِ الرَّحِيمِ  حَسْبُنَا اللهُ وَنِعْمَ الْوَكِيلُ

»Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen. Gott ist unser befriedigender Anteil. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)
In einer Zeit, in der die Weltleute mich von allen Dingen isoliert hatten, geriet ich auf fünf verschiedene Arten in die Fremde. Infolge meines Alters litt ich damals unter fünf verschiedenen Krankheiten, die mir zum Teil aus meinem Kummer erwuchsen.
In der Gottvergessenheit, die aus einer inneren Unruhe erwuchs, betrachtete ich geradewegs mein Herz und durchsuchte meinen Geist, ohne die tröstenden und helfenden Lichter der Risale-i Nur zu beachten. Ich sah, dass mich eine überaus starke Sorge um meine Existenz, ein mächtiges Interesse an ihren Grundlagen, ein heftiges Verlangen nach ihrem Fortbestand, eine grenzenlose Schwäche und eine unendliche Armseligkeit beherrschten. Dagegen löscht aber eine fürchterliche Vergänglichkeit dieses Fortbestehen aus. Aus dieser Haltung heraus sagte ich mit folgenden zu Herzen gehenden Worten eines Dichters:
Das Herz verlangt, dass der Körper besteht, Gott der Gerechte jedoch, dass er vergeht.
Von einem unheilbaren Schmerz bin ich betroffen, Ach! Wofür selbst Loqman (der Arzt) den Rat nicht weiß. Ich senkte meinen Kopf. Plötzlich kam mir die Ayah

حَسْبُنَا اللهُ وَنِعْمَ الْوَكِيلُ

 

»Gott ist unser befriedigender Anteil. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)
zu Hilfe. »Lies mich mit Aufmerksamkeit!« sagte sie mir. Und so rezitierte ich sie auch eines Tages fünfhundert Mal. Da ich nur einen Teil seiner kostbaren Lichter, welche sich vor mir in Form einer augenscheinlichen Sicherheit entfalteten, und zwar neun dieser verschiedenen Stufen und Lichter kurz notiert habe, verweise ich die Leser der Risale-i Nur, was die Einzelheiten betrifft, nun auf die wissenschaftliche Sicherheit (ilme-l’yaqin) und nicht mehr auf die frühere augenscheinliche (ayne-l’yaqin) Sicherheit.
Erste Stufe der leuchtenden (Ayah) vom »befriedigenden Anteil«: Die Sorge um mich und meine eigene Existenz (ashk-i beqa), ist mir nicht um meinetwillen und um meiner eigenen Existenz willen gegeben, vielmehr findet sich in meinem Wesen (mahiyet) eine – wenn auch nur schattenhafte Erscheinung – des einen Namens des Herrn, dem die Vollkommenheit und die Größe ist, und der absolut vollkommen ist, den man aus keinem anderen Grunde liebt (mahbub) als um Seiner Selbst willen. Die Liebe in meiner Natur (fitrat), die auf das Dasein, die Vollkommenheit und das Fortbestehen des absolut Vollkommenen (Kamil-i Mutlaq) hin orientiert ist, verlor und verirrte sich in ihrer Gottvergessenheit (ghafla), heftete sich an Schatten und Schemen und verfiel der Sorge um den Fortbestand ihres Spiegelbildes. Da tauchte in mir die Ayah

حَسْبُنَا اللهُ وَنِعْمَ الْوَكِيلُ

»Gott ist unser befriedigender Anteil. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)
auf und lüftete den Schleier. Ich sah, verspürte und nahm mit wahrheitsgemäßer Gewissheit (haqqa-l’yaqin) wahr, dass das Glück und die Freude über mein Fortbestehen (beqa) genauso und sogar in einer noch vollkommeneren Form in meinem Bekenntnis, in meinem Glauben und in meiner festen Überzeugung liegt, dass der VollkommenBeständige ewig fortbesteht, und dass Er mein Herr und mein Gott ist. Denn die unsterbliche Wahrheit (haqiqat) wurde durch Sein ewiges Fortbestehen (beqa) für mich verwirklicht. Also bewirkt mein Bewusstsein im Glauben, dass »mein Wesen (mahiyet) der Schatten eines Namens Gottes ist, der zugleich beständig und immerwährend ist und niemals stirbt.«

So wird denn durch dieses Bewusstsein im Glauben das Sein des absolut Vollkommenen (Kamil-i Mutlaq) und vollkommen Geliebten (mahbub-u mutlaq) erkannt und so diese heftige, naturgemäße Liebe (der Seele zu) ihrem Herrn zufrieden gestellt. Durch dieses Bewusstsein im Glauben an das Ewige Sein (beqa) und Bestehen des Allzeit Seienden wird die Vollkommenheit (kemalat) der Welt und des Menschengeschlechtes erkannt und erfahren und so befreit sich (die Seele) von den endlosen Qualen, die ihr aus ihrer naturgemäßen Liebe zur Vollkommenheit (kemalat) erwächst und empfängt dafür Freude und Seligkeit.

So entsteht denn durch diese In-Dienst-Nahme im Bewusstsein des Glaubens an den Ewig-Seienden und durch den Glauben an diese Verbindung auch eine Verbindung mit Seinem ganzen Königreich, und auf Grund dieser Verbindung betrachtet (die Seele) mit den Augen des Glaubens dieses Reich ohne Grenzen als wäre es ihr eigenes Königreich und genießt es gewissermaßen innerlich.

So kommt denn durch dieses Bewusstsein im Glauben, die In-Dienst-Nahme, die Beziehung (zu Gott) eine Verbindung, eine Art Verbundenheit mit allem Sein zu Stande. Auf diese Weise wird durch dieses Bewusstsein im Glauben, die In-Dienst-Nahme, die Verbindung und Verbundenheit, also durch diese Beziehung auf einer zweiten Stufe neben dem persönlichen Dasein ein (neues) unbegrenztes Dasein geschaffen, so als handle es sich dabei um das Dasein der eigenen (Seele) und die natürliche Liebe (ashk) zum Dasein wird dadurch zufrieden gestellt.

So kommt denn durch dieses Bewusstsein im Glauben, …

 

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Strahlen – Kommentare zum Qur´an von Bediüzzaman Said Nursi aus dem Risale-i Nur Gesamtwerk